Korla Awgust Kocor (1822-1904)
Sorbischer Lehrer, Kantor, Komponist, Patriot
Korla Awgust Kocor wurde am 3.12.1822 in Zahor (Berge – heute ein Ortsteil der Gemeinde Großpostwitz südlich von Bautzen) geboren. Seine Eltern waren der Häusler und Zimmermann Pětr Kocor und seine Frau Hana Eleonora Dorotea geborne Fröhnel aus Eulowitz. Getauft in der Pfarrkirche zu Großpostwitz, besuchte er später auch die dortige Schule.
Aufgrund des 1835 verabschiedeten Sächsischen Schulgesetzes und der darin enthaltenen Regelung für den Unterricht in den Schulen der sorbischen Kirchgemeinden (den damaligen Schulträgern), waren mehr muttersprachliche Lehrkräfte nötig. Nach Beendigung der Volksschule in Großpostwitz kam Kocor 1836 zuerst in die Präparanda des Landständischen Seminars in Bautzen, die vor allem für die jugendlichen sorbischen Studienanwärter eingerichtet wurde. Dort vervollkommnete er seine Deutschkenntnisse und erhielt ersten Grundlagenunterricht in Musik. Nach eigener Aussage erblickte er hier zum ersten Mal die „weißen und schwarzen Klötzchen“ eines Klaviers. Nach zwei Jahren wechselte er zum Studium in das Seminar. Zur Lehrerausbildung gehörten unter anderem auch Musiktheorie, Klavier- und Orgelspiel, Violinunterricht, Chorgesang und Dirigat.
Nach erfolgreichem Studienabschluß und seiner Anstellung 1842 an der Schule Wartha bei Guttau, einer Filiale der Kirchschule in Baruth, berief man ihn zehn Jahre später zum Kirchschullehrer – und damit zum Schulleiter und Kantor – nach Kittlitz, wo er bis zu seiner Emeritierung wirkte. Erste Kompositionen sind aus dem Jahre 1842 erhalten. Kocor komponierte u.a. Lieder, schuf die ersten sorbischen Volks¬lied¬¬bearbeitungen für Solo bzw. Chor, Kammermusik verschiedener Genres, Oratorien (darunter die bis heute sehr populären Zyklus „Počasy – Die Jahreszeiten“ und „Serbski kwas – Die sorbische Hochzeit“), je eine Oper, ein Requiem und ein Singspiel. Die literarische Vorlage zu den meisten Vokalkompositionen bilden die Gedichte des aus Salzenforst bei Bautzen stammenden evangelischen Pfarrers und sorbischen Dichters Handrij Zejlers (1804-1872) aus Lohsa bei Hoyerswerda. Korla Awgust Kocor starb am 19.5.1904. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof in Kittlitz.
Am 18. April 1845, auf dem Stiftungsfest des 1839 gegründeten sorbischen Gymnasialvereins „Societas Slavica Budissinensis“, auf welchem auch die „Maćica Serbska“ als sorbischer Zentralverein gegründet wurde, schlug Korla Awgust Kocor für den Herbst des gleichen Jahres die Durchführung eines sorbischen Gesangfestes vor.
Es war nicht Kocors Absicht sich zu profilieren zumal er, wie er ein halbes Jahrhundert später berichtete, nur zwei Kompositionen in petto hatte. Diese hatte er zuvor unter die 33, zumeist jungen (30) Anwesenden ausgeteilt, welche sie mit großer Freude vom Blatt sangen. Unter diesen Umständen wurde sein Vorschlag mit Begeisterung angenommen, da
1. ein solches sorbisches in der Stadt Bautzen hier das überhaupt Erste dieser in ganz Deutschland populären Feste wäre, und
2. ihm ein Teil seiner Mitstreiter (Seminaristen und Lehrer) tatkräftige Unterstützung auch in kompositorischer Zuarbeit versprachen.
Die Ankündigung eines solchen sorbischen Gesangfestes rief in Bautzen Aufsehen und Spott hervor, zumal es bisher der mehrheitlich deutschen Stadtgesellschaft nicht gelungen war, ein solches eigenes, deutsches, zu veranstalten.
Gesangfeste fanden in Sachsen seit 1842 statt – als Ausdruck wachsenden bürgerlichen Selbstbewußtseins, als einzige erlaubte Art quasi öffentlicher politischer Kundgebung sowie zur Weckung und Stärkung der Idee eines einheitlichen deutschen Nationalstaates.
Sie wurden auch in den meisten, vor allem südlichen und östlichen Orten der ländlichen Oberlausitz außerhalb der sorbischen Gebiete – sowie den Städten Görlitz, Löbau, Zittau, Lauban gefeiert – jedoch nicht in Bautzen. Somit beinhaltete Kocors Vorschlag und die Annahme dieses durch die Anwesenden auch ein gewisses Politikum. Er unterstützte nicht nur die Ziele der „Jungsorbischen“ Bewegung („Młoda Serbska“), der eigentlichen Triebkraft der sogenannten „Nationalen Wiedergeburt“, sondern wurde auch weit über das Jahrhundert hinaus zum in diesem Sinne wirkungsvollsten und mobilisierendsten Unternehmen.
K.A.Kocor konnte sich bei der Vorbereitung und Durchführung des Festes auf die solide Musik- und Gesangsausbildung seiner Lehrerkollegen und der Seminaristen stützen. Den damals fast obligatorischen nationalen Charakter der Gesangsfeste demonstrierten auch die Sorbischen mit einem erheblichen Anteil sogenannter „Patriotischen Lieder“ (wótčinske spěwy).
Zum vierten Gesangsfest präsentierte Kocor mit seinem ersten Oratorium auch gleichzeitig das nationale Musikopus an sich: „Serbski kwas“ (Die sorbischen Hochzeit). Mit diesem überschreitet er den bis dahin üblichen Rahmen eines Nummernprogramms verschiedener Chor- und Sololieder und stellt an dessen Stelle ein großes, in sich geschlossenes Werk. „Serbski kwas“ ist ein Loblied auf die sorbische Lausitz, das sorbische Volk, seine Tugenden und Lebensweise – kurz: auf die sorbische Nation. Das Werk steht somit voll im Trend der Gesangsfeste und erfüllt zugleich den Status eines Nationalopus. Nach erfolgreicher zweimaliger Aufführung bearbeitet und verändert Kocor das Werk wesentlich und führt es so noch zweimal auf. (1849 Bautzen, 1851 Hoyerswerda).
Den Charakter einer nationalen Manifestation behielten die sorbischen Gesangsfeste die ganze Zeit bis zum 1. Weltkrieg. Ihre populäre Wirkung wurde später mit den großen sorbischen Verbandskonzerten in Bautzen bis zum Verbot 1937 fortgesetzt.
Mit dem Werk und Wirken Korla Awgust Kocors gelang den Sorben der Schritt von einer abklingenden traditionellen Volksmusiktradition zur eigenen nationalen bürgerlichen Musikkultur.
Měrko Šołta-Scholze, September 2022
Musikverleger und Herausgeber, Musikverlag „Lumir“